“Altern heißt sich über sich selbst klar werden.”, meinte Simone de Beauvoir. Dann bin ich aber wohl noch lange nicht alt, denn ich bin nichts weniger als mir klar über mich selbst — jedenfalls im Moment. Ich bin immer noch in der “Wer bin ich jetzt und was will ich jetzt tun/sein?”-Phase, über die ich im Dezember schrieb. Ich will nicht einmal mehr meditieren (noch ein Todo!), keine Visionen ans Universum schicken, nicht mehr recherchieren, mich kümmern, networken… Ich will einfach nur meine Ruhe. “Lamma Ruhe!”, wie mein kleiner Sohn damals zu sagen pflegte.
Ich weiss nicht einmal, ob ich es wie Jenny Joseph halten möchte, die 1961 schrieb. Auch das tönt irgendwie anstrengend:
WARNUNG
Wenn ich alt bin,
werde ich lila tragen
mit einem roten Hut,
der nicht dazu passt
und mir nicht steht.
Ich werde meine Rente für Kognak
und Sommerhandschuhe ausgeben
und Schuhe aus Satin
und sagen „Wir haben kein Geld für Butter“.
Ich werde mich auf den Gehsteig setzen,
wenn ich müde bin
und Warenproben aus den Läden horten
und Notfallknöpfe drücken
und meinen Stock
an öffentlichen Geländern entlang ziehen
und mich entschädigen,
für die Nüchternheit meiner Jugend.
Ich kann schreckliche Hemden tragen
und noch dicker werden
und hintereinander drei Pfund Würstchen essen
oder eine Woche lang nur trockenes Brot
und saure Gurken
und Zähne und Bleistifte
und Bierdeckel und andere Dinge
in Kisten horten.
Ich werde in meinen Hausschuhen
in den Regen hinausgehen
und die Blumen pflücken,
die in anderer Leute Gärten wachsen
und ich werde spucken lernen.
Aber jetzt muss ich noch Kleider tragen,
die mich trocken halten
und meine Miete zahlen
und darf auf der Strasse nicht fluchen.
Muss für meine Kinder ein
leuchtendes Beispiel sein,
zum Abendessen einladen
und Zeitungen lesen.
Aber vielleicht sollte ich
das andere schon mal ausprobieren?
Damit die Leute, die mich kennen
nicht zu schockiert und überrascht sind,
wenn ich plötzlich alt bin
und anfange, lila zu tragen.
Jenny Joseph 1961
Foto von Daniele Levis Pelusi auf Unsplash